- griechische Malerei: Von der Abstraktion zur Illusion
- griechische Malerei: Von der Abstraktion zur IllusionZu den Künsten, in denen es die Griechen zu höchster Meisterschaft brachten, gehört auch die Malerei. In den antiken Quellen ist über Künstler auf diesem Gebiet ebenso oft und mit gleicher Hochachtung die Rede wie über die Bildhauer. Uns ist dieser Kunstzweig so gut wie unbekannt, weil die auf Holz gemalten Tafelbilder mit ihrem vergänglichen Malgrund verloren gegangen sind. Einen Widerhall können wir in manchem römischen Mosaik und in der »Pompejanischen Wandmalerei« erblicken, weil deren Bildmotive oftmals griechische Tafelbilder kopieren. Dank der UV-Fotografie und angesichts neuer Funde - zum Beispiel in der makedonischen Nekropole von Verjina - steht es um die Kenntnis der auf Stein gemalten Bilder etwas besser. Allerdings gewähren uns diese Beispiele nur Einblick in die Malkunst der hellenistischen Epoche. Stellvertretend für die frühe Malerei stehen einige auf Ton gemalte Bilder aus korinthischen Werkstätten des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. Aus dem 6. Jahrhundert und dem Umkreis von Korinth stammt auch ein kleines Votivbild als eines der wenigen Zeugnisse der Tafelmalerei in Temperafarben auf Holz.In schier unüberblickbarer Zahl sind uns allein die Vasenbilder erhalten. Freilich handelt es sich bei der Oberflächenverzierung der griechischen Vasen streng genommen nicht um Malerei, denn die »Malfarbe« besteht aus der gleichen Substanz wie der Gefäßkörper selbst: es ist Ton. Die als »Farbe« bestimmte Tonerde musste eisenhaltig sein und wurde feiner aufbereitet (»geschlemmt«) als der für den Gefäßkörper bestimmte Ton. Dieser Malschlicker wurde auf den nur lederhart angetrockneten Vasenkörper aufgetragen, bevor das Gefäß dann dem Töpferofen anvertraut wurde. Der nun folgende Teil der Vasenproduktion verlangte ebenso viel Meisterschaft wie das Töpfern und Bemalen. Nur eine perfekte Steuerung des Brennvorganges gab dem Gefäß eine makellose Form und verwandelte seine Oberfläche in ein zweifarbiges Gemälde. Als Folge von einander abwechselnden Oxydations- und Reduktionsprozessen bildete sich aus dem unterschiedlichen Eisengehalt von Töpferton und Malschlicker rotes beziehungsweise schwarzes Eisenoxid - die beiden »Malfarben« der griechischen Vasenmalerei.Die von der Gesamtkonzeption her allein mit dem Hell-Dunkel-Kontrast arbeitende Malerei ist in verschiedenen Regionen Griechenlands zwischenzeitlich durch Einsatz weiterer Farben bereichert worden: das wiederum aus speziellen Erden gewonnene Purpurrot, Violett und Weiß wurde allerdings als Deckfarbe erst nach dem Brand aufgetragen. Im klassischen Athen ist der schwarze Malgrund gelegentlich auch durch Auflegen von Gold belebt worden.Wie in keiner anderen Kunstgattung lässt sich in der Vasenmalerei der unmittelbare Übergang von der mykenischen Epoche in das neuformierte Griechenland des 1. Jahrtausends v. Chr. nachvollziehen. Der Dekor der Vasen vereint frei aufgetragene Naturformen wie zum Beispiel die Wellenlinie mit dem exakt angelegten Ornamentrepertoire der geometrischen Epoche. Tatsächlich können bei dem Motiv der konzentrischen Kreise in der Vorzeichnung Zirkelschläge nachgewiesen werden.Figürliche Motive sind der Vasenmalerei anfänglich fremd. Sie werden erst im 8. Jahrhundert v. Chr. ein fester Bestandteil des Dekors. Dabei lässt sich zwischen der Funktion der Gefäße und den Bildmotiven ein unmittelbarer Zusammenhang erkennen: die zum Teil über 1 m hohen Gefäße waren zumeist über den Gräbern aufgestellt oder den Verstorbenen als Beigaben in die Gräber gelegt. Die Darstellungen erzählen von der Totenklage und dem Trauerzug an das Grab. Gepriesen wird aber auch das standesgemäße Leben der Verstorbenen: der Mann bewährt sich als Krieger oder Seefahrer, die Frau legt als Teilnehmerin am Reigentanz Ehre für ihre Heimatstadt ein.Das 7. Jahrhundert v. Chr. steht - vor allem in den Handel treibenden griechischen Städten - im Zeichen einer regelrechten Überschwemmung mit geistigen und künstlerischen Inspirationen aus dem vorderen Orient. Die Vasenmalerei verliert ihren streng berechneten, von einer dichten Ornamentik überzogenen Grundcharakter. Die nun wie aufgebrochen wirkenden Oberflächen bieten Malflächen für ausführlich erzählende Mythenbilder. Wesentlichen Anteil an diesen Neuerungen haben die Töpferwerkstätten in Ostgriechenland und auf den ägäischen Inseln. Auf dem Festland ist Korinth die führende Produktionsstätte während dieser Epoche.Zur höchsten Entfaltung gelangt die griechische Vasenkunst dann in den athenischen Werkstätten des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr. Hier vollzieht sich auch der ästhetisch wirkungsvolle Wandel von der schwarzfiguren Malerei in jene Technik, die die Figuren als tongrundige rote Silhouetten im schwarzen Überzug ausspart. Die Binnenzeichnung wird - gleichfalls mit dem feinen schwarzen Malschlicker - in dünnen Linien aufgetragen.Die Bildmotive werden dem unermesslichen Schatz der mündlich und schriftlich tradierten Mythologie entnommen. Anders als in der statuarischen Kunst erzählen die Vasenbilder aber auch vom Alltagsleben der Menschen. Eine Arztpraxis wird gezeigt, Einblick in eine Bildhauerwerkstatt gewährt, vor allem aber die Welt des Sports im Bilde festgehalten. Gelegentlich fangen die Vasenbilder sogar das aktuelle Zeitgeschehen ein und integrieren es in die mytholgische Thematik. So wird zum Beispiel das Attentat der athenischen Bürger Harmodios und Aristogeiton auf den Tyrannen Hipparchos thematisiert. In dichter Folge greifen die Vasenmaler charakteristische Szenen aus den Aufführungen im Dionysostheater auf.Im Laufe des 4. Jahrhunderts v. Chr. verlagert sich der Schwerpunkt der Vasenmalerei nach Unteritalien. Intensiver als zuvor wird in den Töpfereien etwa Tarents von den nachträglich aufgetragenen Deckfarben Gebrauch gemacht. Die konsequente Berücksichtigung der Perspektive ebnete den Weg zur illusionistischen Malerei.Prof. Dr. Ulrich SinnSimon, Erika: Die griechischen Vasen. Aufnahmen von Max Hirmer u. a. München1976.
Universal-Lexikon. 2012.